Doktorand am Max-Planck-Institut für Physik
Mit gerade einmal 16 Jahren ein 1,0-Abitur an der DSS abgelegt, Physikstudium an der TU Berlin und an der Lunds Universitet ebenso mit der Abschlussnote 1,0 abgeschlossen, mit dem Physik-Studienpreis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zu Berlin 2021 ausgezeichnet und nun Doktorand am Max-Planck-Institut für Physik in München: Das sind die Eckdaten von DSS Alumnus Felix Hagemann. Wir haben uns mit dem 24-Jährigen über seinen Werdegang, seine Leidenschaft für Physik und seine Zeit an der DSS ausgetauscht.
Welchen Weg hast du nach deinem Abitur eingeschlagen?
Ich bin einen Monat nach meinem Abitur 2014 gerade einmal 17 Jahre alt geworden und war unentschlossen, wie es weitergehen sollte. Ich bin deshalb zusammen mit meinen Eltern zurück nach Berlin gezogen und habe mich an der TU Berlin für das zweisemestrige Orientierungsstudium MINTgrün (Link MINTgrün TU Berlin) eingeschrieben. MINTgrün hat mir ermöglicht, in das naturwissenschaftliche Programm der Berliner Universitäten reinzuschnuppern und Beratungsangebote zur Studienwahlentscheidung wahrzunehmen. Im Rahmen des Studiums absolvierte ich in den Wintersemesterferien 2015 ein fünfwöchiges Praktikum am Max-Planck-Institut für Physik in München und forschte an Germaniumdetektoren. Danach habe ich mich für den Bachelor Physik entschieden. Aus dem MINTgrün Jahr konnte ich mir viele Leistungen für das Physikstudium anrechnen lassen, wodurch ich direkt ins 3. Semester einsteigen konnte und im Endeffekt keine Zeit dadurch „verloren“ habe. Ich habe sowohl den Bachelor als auch den Master Physik an der TU Berlin absolviert, davon ein Mastersemester in Schweden an der Lunds Universitet. Im Bachelorstudiengang wird ein sehr breites Spektrum der Physik vermittelt, im Master habe ich mich dann auf Teilchenphysik spezialisiert. Für die Masterarbeit habe ich die TU Berlin verlassen und sie extern am Max-Planck-Institut für Physik in München geschrieben; in der LEGEND Gruppe, in der ich 2015 mein Praktikum gemacht hatte. Den Master habe ich im September 2020 abgeschlossen und bin der LEGEND Gruppe als Doktorand treu geblieben.
Warum hast du dich dazu entschieden, als Doktorand anzufangen?
Die drei Haupttätigkeitsfelder nach einem Physikstudium sind Lehre, Industrie oder (Grundlagen-)Forschung. Da mich am meisten die Forschung und Lehre interessieren, habe ich mich für die Doktorarbeit in der LEGEND Gruppe entschieden. Ich kann als Doktorand Projekte fortsetzen oder neu anfangen, für die als Masterstudent keine Zeit waren. Ich habe auch viele Möglichkeiten, an Konferenzen oder Sommerschulen teilzunehmen, die ich als Masterstudent nicht hatte. Ich möchte die Zeit als Doktorand nutzen, um mich weiter in der Detektor- und Teilchenphysik zu spezialisieren und um mein Netzwerk über Tagungen, Konferenzen und wissenschaftliche Austauschprogramme weiter auszubauen.
Als Doktorand ist mir besonders wichtig, genügend Abwechslung zu haben. Immer etwas Neues zu forschen zu haben, damit es nie langweilig wird.
Was sind deine Aufgaben am Max-Planck-Institut für Physik?
Die Hauptaufgabe ist natürlich die Beantwortung einer Forschungsfrage, die konkret bei mir lautet: „Welchen Einfluss haben die Temperatur und die Betriebsspannung bei Messungen mit hochreinen Germaniumdetektoren?" Dafür stehe ich oft im Labor, nehme Daten, werte diese aus und vergleiche die Ergebnisse mit Simulationen, die ich basierend auf theoretischen Modellen selbst geschrieben habe. Darüber hinaus sollen Doktorandinnen und Doktoranden Lehrerfahrung sammeln, (mindestens eine) Veröffentlichung schreiben und sich inhaltlich weiterbilden. Ich habe im ersten Jahr zum Beispiel einen Bachelorstudenten betreut und ein Paper über unsere Simulationssoftware herausgebracht. Zudem habe ich an einer vierwöchigen Sommerschule zu Dunkler Materie teilgenommen, die aufgrund der Corona-Pandemie komplett online stattgefunden hat. Kurz vor Ende meines ersten Jahres wurde ich zum „Klassensprecher" aller Doktorandinnen und Doktoranden unseres Instituts gewählt und organisiere in dem Rahmen häufiger Veranstaltungen, um sich untereinander kennenzulernen, aber auch wissenschaftlich austauschen zu können.
Als Doktorand ist mir besonders wichtig, genügend Abwechslung zu haben. Immer etwas Neues zu forschen zu haben, damit es nie langweilig wird. Aber auch Abwechslung von der Forschungsarbeit zu haben, ist wichtig, damit man nicht komplett zum „Fachidioten“ wird. Dazu zählen für mich, sich mit den anderen Leuten am Institut oder an den Münchner Unis über physikalische Inhalte auszutauschen, aber auch im Rahmen von Sport- und Freizeitveranstaltungen den Kopf freizubekommen und Zeit mit Leuten zu verbringen, die nichts mit Physik am Hut haben.
Welche beruflichen Ziele hast du?
Wenn ich mir meine Zukunft aussuchen könnte, dann würde ich Physikprofessor werden. Leider bin ich mit meinem Ziel nicht ganz alleine und die Anzahl an Professuren ist limitiert. Da heißt es fleißig sein, gute Arbeit leisten, auffallen und Glück haben! Aber unabhängig davon, ob das klappen sollte oder nicht, möchte ich gerne eine akademische Laufbahn einschlagen, zum Beispiel für eine Universität oder ein physikalisches Forschungsinstitut arbeiten und forschen. Stand jetzt, glaube ich nicht, dass ich einen Job in einer großen Firma annehmen werde.
Was fällt dir als erstes ein, wenn du an die DSS zurückdenkst?
Wenn ich an die Zeit an der DSS zurückdenke, denke ich am meisten an meine Freundschaften. Dadurch dass man in Shanghai quasi rund um die Uhr mit den gleichen Leuten zu tun hatte (morgens in der Schule, nachmittags in den AGs, abends bei irgendwem zu Hause), habe ich in der Zeit so starke Freundschaften aufgebaut, wie ich sie in Deutschland selten hatte. Aus meinem Abiturjahrgang ist ein Großteil der Leute im sehr engen Kontakt. Ich hatte damals die Befürchtung, dass nach dem Abitur alles auseinanderläuft, aber dem war nicht so. Im Gegenteil: Wir haben auf den Tag genau fünf Jahre nach unserer Abiturverleihung ein Nachtreffen in Potsdam organisiert, bei dem 34 der 48 Abiturientinnen und Abiturienten anwesend waren. Und es war gefühlt so wie damals zur Abizeit: keine allzu große optischen Veränderungen, ähnliche Grüppchen wie damals in der Schule, und eigentlich kam jeder mit jedem gut klar. Als Hauptorganisator des Nachtreffens habe ich mir geschworen, mich bei der Organisation unseres zehnjährigen Jubiläums 2024 rauszuhalten, aber ich glaube da komme ich nicht drum herum. Wäre auch zu schade, wenn das nicht stattfinden würde.
Gerade die Science Fair und die breite Förderung in den Naturwissenschaften haben mein Interesse für das Physikstudium geweckt und mich auch im Vergleich zu Mitstudentinnen und Mitstudenten gut auf das Studium vorbereitet.
Ich erinnere mich aber zum Beispiel auch daran, dass wir als sechsköpfiges Volleyballteam in der Saison 2013/14 in die verschiedenen internationalen Schulen Shanghais gefahren sind und nie jemand fehlen durfte, weil wir sonst kein vollständiges Team gewesen wären. Ich denke an unsere Klassenfahrten, an die Abiturvorbereitungen, an den Waffelverkauf und die Organisation unseres Abiballs, an die unterschiedlichen Projekte an der Schule (Chor, Science Fair, Shanghai Talks, Theateraufführungen, etc.) oder verschiedene Wettbewerbe (Internationale Physikolympiade, Kängurutests und ich wurde damals auch für die Deutsche Schülerakademie vorgeschlagen). Gerade die Science Fair und die breite Förderung in den Naturwissenschaften haben mein Interesse für das Physikstudium geweckt und mich auch im Vergleich zu Mitstudentinnen und Mitstudenten gut auf das Studium vorbereitet.
Was rätst du Schülerinnen und Schülern, die ein Physikstudium anstreben?
Solltest du über ein Physikstudium nachdenken, frag dich: „Was genau fasziniert mich an der Physik?" Knobelst du gerne an Aufgaben rum, liebst du es Sachen auszurechnen, Experimente durchzuführen oder würdest du gerne wissen, was Schwarze Löcher eigentlich sind und was dieses E=mc² ist, von dem alle reden? Das Physikstudium ist dafür da, physikalische Grundlagen und verschiedene experimentelle Methoden zu vermitteln. Man lernt aber auch, allgemein Probleme anzugehen und vor allem mit Frust umzugehen. Ich glaube, jede Physikstudentin und jeder Physikstudent hat mindestens einmal darüber nachgedacht, das Studium zu schmeißen und irgendwas „Einfacheres“ zu machen. Wenn du aber wirklich an der Physik interessiert bist und generell motiviert bist, dann sollte dich das nicht einschüchtern und dann schaffst du das auch auf jeden Fall. Wichtig ist auch, dass du dir Gedanken darüber machst, wie es nach dem Studium weitergehen soll: Willst du Physiklehrerin oder Physiklehrer werden, in einer Firma arbeiten oder in die Forschung gehen? Im Studium gibt es ein riesiges Angebot an Kursen, die sich zur Vorbereitung auf den Berufswunsch eignen. Ich ärgere mich zum Beispiel, dass ich mich im Studium wenig mit Fehlerrechnungen auseinandergesetzt habe und das jetzt als Doktorand von mir erwartet wird. Hätte ich mir schon früher Gedanken gemacht, wo es nach dem Studium hingeht, hätte ich meine Kurse eventuell sinnvoller ausgewählt, sodass sie mich besser auf das Arbeitsleben vorbereitet hätten.
Solltest du über ein Physikstudium nachdenken, frag dich: „Was genau fasziniert mich an der Physik?" Knobelst du gerne an Aufgaben rum, liebst du es Sachen auszurechnen oder würdest du gerne wissen, was Schwarze Löcher eigentlich sind?
Was hat dich bei dem Studium überrascht?
Überrascht haben mich die Leute, auf die ich während des Physikstudiums gestoßen bin. Ich hatte mir Physikerinnen und Physiker immer als seltsame „Nerds“ vorgestellt, und natürlich gibt es solche Leute auch. Aber der Großteil der Leute ist super pfiffig, aufgeschlossen und extrem sozial. Es ist meiner Meinung nach wichtig, sich in der Physik mit anderen Physikerinnen und Physikern auszutauschen und einige Probleme auch gemeinsam anzugehen. Am Anfang hatte ich das so gar nicht auf dem Schirm. Jetzt bin ich in einer Forschungsgruppe in München mit super netten Leuten, die quasi meine zweite Familie geworden sind. So einfach kann man sich täuschen!
Was machst du, wenn du nicht arbeitest?
Wenn ich nicht arbeite, mache ich Musik oder spiele (Beach-)Volleyball. Das Thema Work-Life-Balance habe ich in den ersten Studienjahren nicht so ernst genommen. Ich habe mich ganz auf das Studium konzentriert und mir die Semester und die Semesterferien immer voller gepackt als nötig. Ich habe aber gemerkt, dass ich deutlich produktiver bin, wenn ich einen Teil dieser Zeit für andere Tätigkeiten aufbringe. Man steckt zwar weniger Zeit ins Studium, kann aber in der Zeit mehr erreichen.
Was du noch sagen wolltest…
Ich finde super spannend, dass ich von den jetzigen Lehrkräften an der DSS fast niemanden mehr kenne, und mich wahrscheinlich auch die wenigsten persönlich kennen. Meine ehemalige Mathe- und Physiklehrerin Frau Voll, die mich gefördert und bestmöglich auf mein Studium vorbereitet hat, kennen wahrscheinlich nur noch wenige an der DSS, wenn überhaupt. Und trotzdem bleibt die starke Bindung zur DSS. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich bei meiner nächsten Reise nach Shanghai die DSS besuchen und über mein Studium oder Leben berichten kann.